Der Sperling und die Hand

Der Sperling und die Hand

Ein Sperling sass am Fenster und wollte nicht weg. Als der Schnee kam, hat sich Deine Hand an einem Dienstag um den kleinen Vogel geschlossen, ihn warm zu halten. Er sitzt nun darin. Er besteht aus Angst und Federn, sein Herz rast, Dein Herz schlägt langsam. Der Sperling schaut umher, blinzelt, vielleicht sieht er Dich, er plustert sich auf, bewegt ein wenig die Flügel, stemmt sie gegen Handballen und Fingerzaun, zappelt, versucht sich abzustossen. Gibt auf. Vielleicht entspannt er sich, er lässt sich tragen. Dein kleiner Finger streichelt sein schuppiges Bein.

 

Sein kühler Schnabel liegt auf dem gepolsterten Gelenk Deines Zeigefingers, dann stubst der Sperling gegen Deinen Daumen, versucht, am Nagel zu knabbern. Das kitzelt. Du bläst in seinen Kopfflaum und lächelst. Der Sperling lässt den Nagel kurz in Ruhe, dann stubst er wieder gegen den Daumen und schiebt den Schnabel unter den Nagel, als gäbe es dort einen Wurm oder ein Zuhause. Du sagst: Mach nur. Du trägst ihn in Deiner Hand, und er lässt sich tragen. So geht es den ganzen Tag. Du bewältigst ihn einhändig. Abends öffnest du die Hand.

 

Es hat zu schneien aufgehört. Das Fenster steht offen. Der Sperling steht auf der Handfläche wie auf einem rosa Kissen, balanciert, die Federn links etwas zerdrückt, er sieht verschlafen aus, verwirrt, er weiss wohl nicht: Soll er fliegen? Soll er warten? Soll er auf der Handfläche ein paar Schritte tun? Soll er hüpfen? Soll er Dich kneifen? Soll er schlafen? Singen kann er nicht, er kann nicht viel. In Deiner geschlossenen Hand konnte er mehr. Da war er gut. Er konnte in dieser Hand sein wie kein anderer Sperling. Der Hand galt er etwas.

 

Die Hand probte Distanz und Nähe an ihm, sie hielt ihn nicht zu eng und nicht zu locker, das war er der Hand wert, und die Hand hatte etwas über sich gelernt, sie wusste nun mehr – allein wegen dieses Sperlings. Jetzt liegt die Hand offen da, weil Du meinst, der Sperling gedeihe in einer Freiheit, die Dir vielleicht gefiele. Du bläst in seinen Kopfflaum und lächelst. Da fliegt der Sperling in die Nacht.